Montag, 20. Dezember 2010

Weihnachten in der Leseprobe – Leben ist ein Nebenjob

Leben ist ein Nebenjob von Uwe Prink
Leseprobe
Leben ist ein Nebenjob
Ich war mit Judith zusammen. Judith war ein zartes, schlankes Mädchen mit jungenhaft schmalen Hüften und birnenförmigen, auffallenden Mopsbürschchen. Ihr Minirock war nicht mehr als ein breiter Gürtel. Alles sehr überzeugend. Rollos runter. Vorhänge zu. Draußen regnete es sowieso. Wie meistens. Das machte die Szenerie noch ein bisschen schummriger. Einer der Vorteile Norddeutschlands.
Jetzt durften die Hände schon mal ein bisschen auf Wanderschaft gehen. Aber vorsichtig. Ich war ja so schüchtern. Pro viertel Stunde drei bis vier Zentimeter. Nur nichts falsch machen.
Was stand noch in der ›Bravo‹? Wo waren die erogenen Zonen? Ah ja, hinter den Ohren, am Hals. Die weiche Haut zwischen den Schenkeln. Scheiße – Strumpfhosen! Wie kam man da an die Schenkel? Mit den Fingern auf den Strumpfhosen war’s auch schon aufregend genug. Je höher, desto heißer.
Mittlerweile war eine Ewigkeit vergangen. Endlich das obere Ende der Strumpfhose. Scheißstrammes Gummi. Mit dem Slip zusammen Gummi in zweifacher Ausführung. Das war schwierig zu handhaben. Aber wenn man schon mal hier ist.
Langsam arbeitete sich meine Hand ins Paradies vor. Zentimeter für Zentimeter, mit langsam absterbendem Blutkreislauf krabbelte die Hand in Richtung Bermuda Dreieck. Das Handgelenk war schon fast taub.
Der Zehnerwechsler für die Singles machte noch brav seine Arbeit. »I ’m A Loser, I ’m A Loser. And I’m not what I appear to be …«
Wie sollte ich die Innenhaut der Schenkel zart streicheln, wenn die Hand von dieser elenden, strammen Kunstfaser platt gedrückt wird? Außerdem war die ganze Körperhaltung auf die Dauer ein totaler Krampf. Aber was tut man nicht alles für das Paradies. Die ganze Angelegenheit lief zudem schweigend ab.
Stilles Genießen oder Unsicherheit? Sei ein Mann und mach weiter. Die Schamhaare waren erreicht. Eine neue Attraktion unter den Fingern. Weibliche Schamhaare. Ganz schön hart, diese Haare. Jetzt aber weiter. Wie war das noch, Klitoris? Vielleicht sogar der Kitzler. Hihi. Leichtes Kreisen. Die Hand stirbt ab. Aber ich glaube, ihr gefällt’s. Findet sie mich jetzt gut, habe ich meine Hausaufgaben gemacht.
Oswald Kolle: ›Das Wunder der Liebe‹. Soll ich den Finger reinstecken? Natürlich, wie sollst du denn sonst wissen, wie das ist. Dschungelfieber, weich, warm und feucht. Kosmisch. Tatsächlich, Oswald hatte nicht zu viel versprochen. Ich war am Ziel und es war aufregend. Seltsam allerdings, dass ich mich nicht an ihre Berührung erinnere?
So verbrachten wir viele schöne Nachmittage als Pioniere in unerforschten Gebieten. Aufregend war’s.
Mittlerweile hatte ich das Kellerzimmer von Wolf übernommen, weil der zu Tante Annemarie gezogen war. Warum? Keine Ahnung. Querelen mit dem Alten, diese familiäre Enge, ich weiß es nicht. Ich war jedenfalls glücklich. Konnte ich doch nun meine Pettingspiele in der eigenen Hütte veranstalten. Das gab natürlich Heimvorteil.
Ich war stolz auf die Tapeten. Mein Bruder Rolf nannte es »Moderne Kunst«. Verrückte abstrakte Muster.
Zu Weihnachten hatte ich einen Plattenspieler bekommen. Einen Musikus 105V von Telefunken. Ausgelegt für Stereo. Man brauchte bloß noch einen zweiten Verstärker für den anderen Kanal. Das alte Radio mit dem Holzchassis war dafür ideal. Mit einem Adapter für die Bananenstecker musste es klappen.
Die Bands wurden jetzt zahlreicher. The Kinks: ›Sunny Afternoon‹, ›You Really Got Me‹. The Troggs: ›Wild Thing‹. The Small Faces: ›Tin Soldier‹, intensives, absolutes Durchdrehen. Dieses ruhige Piano-Intro und dann treibendes Losheizen, diese Kraft, diese Energie, unglaublich. Überhaupt war alles englisch und »The«. Dann die Beachboys. »Bababa, bababaranne, babaraaanne ...« Amerikanisch und trotzdem gut, dachten wir. Mit ›Good Vibrations‹ spielten sie dann endgültig in der ersten Liga.
Wir veranstalteten des Öfteren private Hitparaden-Nachmittage. Da wurden Songs nach einem ausgeklügelten Beurteilungssystem bewertet. Der Gesang, die Komposition, das Arrangement, wilde Soli, die Message oder, was wir dafür hielten, wurden von uns mit Kennermienen einer strengen Prüfung unterzogen.
›My Generation‹ von The Who gegen ›Bus Stop‹ von The Hollies. Da ist die Fragestellung schon Makulatur. Natürlich überwogen wilde Soli und die Message bei den Who. Es wurde über die restlichen Kriterien noch gestritten, aber es gewannen die Who. Obwohl der mehrstimmige Gesang von den Hollies schon eine Klasse für sich war.
So verlebten wir die Tage im Rausch der Musik, wenn auch ab und zu Oma Prank in den Keller kam und zeterte: »Mog disse Negermusik mol lieser!« Sie war mehr in der Heideröslein-Ecke zuhause.
Oma Prank musste uns wieder »Flötentöne« beibringen, weil meine Mutter jetzt mitarbeitete, um das Haus nicht den »gierigen Hypothekengangstern« preiszugeben.
Mama trug ihre Haut am Fließband der Firma ›Elida Gibbs‹ zu Markte. Hersteller von Seifen, Deodorants und Kosmetikartikeln.
Der Zeitmangel, bedingt durch zwei voll berufstätige Elternteile, brachte Ödnis in den Speiseplan der Familie. Currywurst mit Spaghetti war angesagt. Nur wenn Oma mal kochte, gab es den besten Blumenkohl der Welt, in dessen weißer Soße sich reichlich dicke Spuren von guter Butter befanden. Sie kochte eben wie eine kleine, liebe Oma.

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