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In der Market Street, im Herzen von St Andrews, herrscht bereits, wie fast jeden Morgen, geschäftiges Treiben. Das Stadtzentrum ist voller junger Menschen, die sich auf dem Weg zur Universität befinden. Die altehrwürdigen Gebäude sind in der ganzen Stadt verteilt. Die milde Frühlingssonne verwöhnt die kleine Küstenstadt mit ihren warmen Stahlen. Es scheint ein wunderbarer Tag zu werden. In den liebevoll angelegten Rabatten reiht sich ein Frühlingsblüher an den nächsten.
Im Starbucks steht eine lange Schlage von Studentinnen und Studenten vor dem Tresen an. Alle wollen sich am Beginn eines neuen, anstrengenden Tages mit Kuchen, Sandwiches und Kaffee eindecken.
Brenda und Tammy kommen den Bestellungen kaum hinterher.
Die beiden jungen Frauen tragen bequeme Jeans, Turnschuhe, schwarze T-Shirts und dunkelgrüne Schürzen mit dem Starbucks-Aufdruck. Konzentriert und schnell wird jeder Wunsch erfüllt.
Ein junger Mann ordert einen Schokobrownie und einen Cappuccino bei Brenda.
Tammy nimmt grinsend den letzten Brownie vom Tablet und reicht ihn dem jungen Mann.
»Kannst du, bitte, welche aus dem Lager holen?«, flötet sie ihrer Kollegin lächelnd zu.
Brenda atmet genervt durch, sie nimmt sich aber zusammen. Am liebsten würde sie jetzt …
»Natürlich! Du kommst solange alleine klar?«, will sie mit ebenso zuckersüßer Stimme von ihrer Kollegin wissen.
»Na klar, aber … beeil dich, bitte!«
Ohne ein weiteres Wort dreht sich Brenda um und geht nach hinten. Auf dem Weg zum Lagerraum macht sie einen Schwenker zur Hintertür. Sie braucht jetzt erst einmal eine Zigarette. Ihre Kollegin Tammy lässt sie warten. Sie lehnt sich draußen neben der Tür an die Wand. Die schmale Seitengasse ist eng und nur als Fußweg benutzbar. Neben der Tür stehen Mülltonnen. Hinter einer der Tonnen lauert eine graugetigerte Katze geduldig und konzentriert auf eine Maus. Abfallsäcke stapeln sich neben alten Holzkisten. Der Müll in den Abfallsäcken stinkt, doch das scheint Brenda nicht zu stören. Sie holt ein Päckchen Zigaretten nebst einem Feuerzeug aus der Hosentasche, klopft eine Zigarette aus der Packung und zündet sie in aller Seelenruhe an. Dann nimmt sie einen tiefen Zug und bläst den Rauch langsam und genüsslich aus.
Brenda ist einundzwanzig Jahre alt. Sie ist das Kind einer verkorksten Beziehung. Ihre Mom war siebzehn Jahre alt, als sich Brenda unerwünscht angekündigt hat. Nach einer abgebrochenen Lehre ist Brendas Mutter wieder bei ihren Eltern eingezogen. Als Brenda zur Welt kam, hatte sich ihr Dad längst aus dem Staub gemacht.
Wenn Brenda an ihre Kindheit denkt, fallen ihr nur ewige Diskussionen und Streitereien ein. Meistens ging es um Geld, wenn sich Grandmother, Grandfather und Mom in den Haaren lagen. Mit achtzehn ist Brenda ausgezogen. Seither jobbt sie mal hier und mal da.
Alles ist besser als zurück nach Hause zu gehen, findet sie. Seit drei Monaten arbeitet sie nun bereits bei Starbucks.
Brenda will ein anderes Leben, ein besseres Leben und dafür würde sie alles tun.
Sie ist eine hübsche junge Frau. Einen Meter siebzig groß, schlank und sie hat raspelkurzes blondes Haar. Lange Haare will sie nicht, lieber wirkt sie etwas frech und burschikos. Sie findet, dass ihre Frisur so ihrem Naturell entspricht.
Wieder zieht sie an ihrer Zigarette und bläst langsam den Rauch aus. Dabei beobachtet sie die Straße von der Seitengasse aus. Sie sieht die vielen jungen Leute, die zur Universität hetzen. Sie alle werden es wohl einmal besser haben als sie, sinniert Brenda. Plötzlich erregt ein attraktiver Mann ihre Aufmerksamkeit.
Sie stößt sich mit dem Fuß von der Wand ab und geht bis zur Einmündung der Gasse in die Straße vor. Gebannt beobacht sie den fremden Schönling. Er ist bestimmt schon über dreißig Jahre alt, denkt Brenda. Aber er sieht hammer aus. Gut gekleidet ist er auch.
Der Mann trägt eine blaue Jeans, schwarze Lederschuhe, ein hellblaues Hemd, eine Weste und einen dazugehörigen Blazer in verschiedenen Erdtönen. Dunkles Gelb vermischt mit Braun und dunklen Grüntönen. Er hat kurzes dunkelblondes Haar, das sich trotz der Kürze auf dem Kopf kräuselt. Außerdem trägt er eine Brille mit kantigen Gläsern und dunklem Vollrahmen.
Der Mann hat einen Block und einen Stift in der Hand. Immer wieder sieht er an den schmucken braugrauen Steinfassaden hoch und macht sich Notizen.
Brenda beobachtet, wie er sein Smartphone zückt und von den Häusern und Straßenschildern Fotos macht. Er steckt es in die Hosentasche und geht zum Eingang des Starbucks-Lokals.
Augenblicklich tritt Brenda die Zigarette auf dem Boden aus. Sie stürzt zum Hintereingang und hetzt in ein paar Schritten zum Lagerraum. Hastig greift sie nach einem Blech mit Schokobrownies und wirft die Tür hinter sich zu. Im Laufschritt macht sie sich auf den Weg in den Verkaufsraum.
»Verdammt, wo bleibst du so lange?«, schnauzt Tammy ihre Kollegin sofort leise an. Sie hat ganz rote Wange bekommen, so verärgert ist sie. »Musstest du die Brownies erst backen?«, will sie wütend von Brenda wissen.
»Tschuldigung, mir war nicht gut. Ich war noch rasch auf der Toilette«, meint Brenda kleinlaut.
Als Tammy nach einem Schokobrownie greift, bemerkt sie den frischen Zigarettenrauch an Brenda.
»Du warst jetzt nicht ernsthaft ein rauchen, oder?«, raunt ihr Tammy zu. Kopfschüttelnd bedient sie im Akkord weiter. Das Thema ist für sie noch nicht durch.
Ein Blick in die Schlange vor dem Tresen zeigt Brenda, dass noch drei Kunden vor dem geheimnisvollen Mann dran sind.
Verdammt, wenn sie jetzt …, dann Tammy, dann wieder sie … Tammy müsste den Fremden bedienen. Scheinbar ungeschickt lässt Brenda den bestellten Becher Kaffee fallen. Tammy bedient weiter, während Brenda hastig den verschütteten Kaffee aufwischt. Genau so lange, bis der Mann vor ihr steht. Sie schnellt hoch und fragt nach seinen Wünschen.
»Hallo, fremder Mann! Was kann ich ihnen Gutes tun?«, flötet sie ihm zu, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
Er hat wunderbar eisblaue Augen, fällt ihr sofort auf. Er ist glatt rasiert und riecht wahnsinnig gut.
»Einen Frappuccino mit Karamellsirup, ohne Sahne, bitte!«, kommt es kurz und knapp von ihm.
Seine Stimme klingt wahnsinnig männlich, findet Brenda sofort.
»Am Morgen schon kalten Kaffee, das ist aber ungewöhnlich! Die meisten Leute trinken morgens etwas Warmes«, flötet sie ihm wieder zu.
Er scheint ihr gar nicht zuzuhören.
Während sie sich um seine Bestellung kümmert, versucht sie ein Gespräch mit ihm zu beginnen.
»Neu hier?«, will sie lauernd wissen.
Tammy wirft ihrer Kollegin einen verwunderten Blick zu.
Brenda bekommt wieder keine Antwort. Der Mann sieht sich neugierig um.
»Ist das hier morgens immer so voll?«, will er schließlich von ihr wissen.
»Ja, das sind die Studenten. Nach neun Uhr wird es ruhiger«, erklärt sie und stellt den gewünschten Frappuccino auf den Tresen.
Er zückt wortlos seine Geldbörse und legt einen großen Schein neben seine Bestellung. Nachdem er sein Wechselgeld erhalten hat, nimmt er seinen Frappuccino und geht.
Brenda sieht ihm schmachtend hinterher.
»Was für ein Mann! Den würde ich nicht von der Bettkante stoßen«, flüstert Brenda.
»Mister Colton gefällt dir? Tja, da bist du nicht die Einzige«, raunt Tammy ihrer Kollegin überlegen zu.
Brenda sieht sie überrascht an.
»Du kennst ihn?«, will sie fast entsetzt von Tammy wissen.
»Wenn du ab und an lesen würdest, statt ewig nur in die Flimmerkiste zu glotzen, würdest du ihn auch kennen. Das ist Maxwell Colton, ein Bestsellerautor. Nein, nicht ein … er ist der beste Krimiautor, den es in ganz Großbritannien gibt. Hast du tatsächlich noch nicht von ihm gehört?«, will Tammy kopfschüttelnd wissen.
»Nein, habe ich nicht!« Brenda hat einen leidenden Gesichtsausdruck bekommen. Sie krümmt sich und hält sich den Bauch. »Es geht schon wieder los! Oh, diese Schmerzen, noch schlimmer als vorhin«, beginnt sie zu jammern.
»Was ist los?«, will Tammy besorgt wissen.
»Ich muss wohl etwas Falsches gegessen haben. Vorhin habe ich geglaubt, dass es etwas besser wird, aber jetzt geht es schon wieder los. Tut mir leid, aber ich kann nicht mehr. Ich gehe besser nach Hause und kurier mich aus!« Ohne auf eine Reaktion ihrer Kollegin zu warten, verschwindet sie rasch nach hinten.
»Super, jetzt kann ich wieder alles alleine machen!«, mault Tammy leise vor sich hin. Brenda ist in ihren Augen keine zuverlässige Kollegin. Das wird sie wohl ihren Vorgesetzten sagen, wenn sie gefragt wird, ob der Vertrag von Brenda verlängert werden soll. Resigniert bedient sie alleine weiter.
Brenda hat sich ihre Tasche geschnappt und ist durch die Hintertür verschwunden. Im sicheren Schutz der Hauswand beobachtet sie Maxwell Colton, wie er mit seinem Frappuccino in der Hand die Straße entlang schlendert.
Sie folgt ihm in sicherem Abstand. Immer wieder drückt sie sich gegen eine Hauswand, damit sie nicht gesehen wird.
Als er sich auf eine Bank setzt, hat sie genügend Zeit, seinen Namen in die Suchmaschine ihres Handys einzugeben.
Maxwell Colton. Zweiunddreißig Jahre alt. Er stammt aus Edinburgh und ist tatsächlich zur Zeit der bestverdienenden Schriftsteller in Großbritannien. Seine zwölf Kriminalromane waren alle Bestseller. Verträge für die Verfilmung der Geschichten sind bereits unter Dach und Fach, liest sie aufgeregt. Die Dreharbeiten für den ersten Film beginnen in Kürze, steht in dem Bericht. Maxwell Colton hat sich in der Liste der besten Autoren sogar vor Joanne K. Rowling gesetzt.
Brenda kann gar nicht verstehen, dass sie bisher nichts von diesem Mann gehört hat. Gebannt betrachtet sie ein Bild von ihm. Es stammt von einer Gala, die vor vier Wochen stattgefunden hat. Sie vergrößert das Foto immer weiter und weiter, als ob sie jede Hautpore dieses Mannes verschlingen wollte. Gebannt starrt sie minutenlang in seine Augen. Und dann ist ihr glasklar, was sie will.
Ihn.
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