Montag, 20. Dezember 2010

Weihnachten in der Leseprobe – Nur geträumt?

Nur geträumt? Abschied von der großen Liebe von Christine Lackner
Leseprobe
Nur geträumt? 
Als wir mit einer größeren Gruppe von Absolventen des Kurses zu dem lange zuvor geplanten Skiwochenende aufbrachen, war ich aufgeregt wie als Kind zu Weihnachten, wenn die Anspannung und die Neugier auf den Lichterbaum und die Geschenke kaum noch zu ertragen waren.
Ich sollte bei ihm im Auto mitfahren, darum verabredeten wir uns vor seinem Haus. Dort traf ich zum ersten Mal auf seine kleine Tochter, die gerade im Garten spielte. Dem Mädchen war weder ein Lächeln zu entlocken, noch bekam ich auf gestellte Fragen Antworten. Sie maß mich lediglich mit durchdringenden Blicken aus zornigen Augen, die Ähnlichkeit mit jenen eines Erwachsenen hatten.
Philipps Frau lud mich völlig ungezwungen zu einem schnellen Essen in die neue Küche ein. Aber sosehr mir normalerweise Lasagne schmeckte, in diesem Moment konnte ich nicht mehr in meinem Mund fühlen als etwas zwischen den Zähnen, das ich auf schnellstem Wege mit Mineralwasser hinunterzuspülen versuchte. Mir saß ein dicker Kloß im Hals, als ich mitbekam, wie sehr sich seine Frau um ihn bemühte. Ihr Äußeres überraschte mich, die schönen langen Haare, der offene Blick, das freundliche Lachen. Sie war das genaue Gegenteil jener Person, die ich mir während der Gespräche mit Philipp zusammengereimt hatte.
Ich kam mir in jenem Moment total fehl am Platz vor, fühlte mich wie eine Diebin auf frischer Tat ertappt und hatte es eilig, dieser Situation und Philipps Zuhause den Rücken zu kehren.

Ein uraltes Bauernhaus auf einer schneebedeckten Lichtung, gesäumt von dichtem, dunklem Tannenwald, lud bereits aus der Ferne zum Träumen ein.
Nachdem die Kälte aus der Stube vertrieben war durch das Herdfeuer, das wohlige Wärme ausströmte, bezogen wir die Schlafräume. Die Aufteilung der Anwesenden auf die vorhandenen Betten gestaltete sich als gar nicht so einfach, sollten doch freundschaftliche Bande berücksichtigt werden.
Ich erhielt mit meiner Freundin ein Zimmer unter dem Dach mit einem großen Doppelbett. Weitere Frauen bezogen im ersten Stock Quartier. Im Erdgeschoss hinter der alten, urigen Stube fanden die Männer eine Schlafstätte, teilten sich zu dritt ein Ehebett und einer erkämpfte sich ein Einzelbett.
Die Männer kochten, die Frauen deckten den Tisch und erledigten den Abwasch.
Das Essen war ein Gedicht. Dafür ernteten die Männer reichlich Lob und Bewunderung. Wein, Bier und auch alkoholfreie Getränke flossen im Übermaß. Die Stimmung war fröhlich und ausgelassen.
Ich schaltete ab und ging vollkommen in der positiven Atmosphäre auf.
Viele Themen wurden angeschnitten und scheinbar endlose Diskussionen ausgetragen. Kaffee und mitgebrachte, selbst gebackene Köstlichkeiten versüßten den anbrechenden Abend, Spiele und Glühwein taten das Übrige.
Ich tankte geistige Energie, indem ich mich jenen Menschen zuwandte, die mir, jeder für sich als einzigartiges Wesen aus Lebenserfahrung und Lebensfreude, Kraft schenkten.
Dennoch gingen mir die Gespräche mit Philipp am tiefsten. Vielleicht befanden wir uns gerade auf einer ähnlichen emotionalen Ebene.
Bei Musik mit zu Herzen gehenden Texten, sogenannten Zeitgeistliedern, gestattete ich mir für Momente Bilder, die allein Philipp und mich beinhalten. Ich wurde zum ruhenden, hinnehmenden Ufer, er zum streichelnden, wogenden Meer.
Einmal verschlingen wir uns zu einem großen Ganzen, werden von höheren Mächten auseinandergerissen, um anschließend nur noch viel aufgewühlter und stürmischer miteinander zu verschmelzen.
Es fiel mir nicht leicht, mich von den Phantasien loszureißen. Meine Augen durften nicht zu lange auf ihm ruhen. Seinen Blicken wich ich aus, so gut es ging. Wir waren schließlich verheiratet, hatten beide Kinder und eheliche Verpflichtungen. Als warnendes Signal rief ich mir immer wieder das Bild seiner Familie ins Gedächtnis, um ja nicht vom Pfad der Tugend abzukommen. Waren wir gar auf der Hütte schon reif, einander zum Opfer zu fallen?
Der Himmel hatte sein Sternenzelt ausgebreitet, als eine kleine Gruppe zum Rodeln aufbrach. Bereits nach wenigen Schritten fanden wir beide uns nebeneinander herwandernd, den Hügel erklimmend, wieder. Leider war der Schnee zu nass, so konnten wir nicht auf den mitgebrachten Kunststoffsäcken talwärts rutschen. Ein paar Leute gingen ins Haus zurück, die übrigen unternahmen einen Nachtspaziergang.
Die Schneedecke funkelte, der Mond leuchtete uns den Weg. Ich versprach Philipp Auszüge aus dem Konzept des Sozialprojektes, er wollte mir Musik und Literatur nahe bringen, die ihm besonders viel bedeutete.
Als wir zurückkehrten, ging es schon auf Mitternacht zu und einige tanzten noch ausgelassen zur Musik auf den Holztischen vor der Hütte. Wir setzten uns etwas abseits. Im Schutze der Dunkelheit sprach er dann von Gefühlen und Seelenqualen, die seinen Workaholismus betrafen, der angeblich sein familiäres Leben überschattete, im Besonderen aber seine persönliche Entwicklung stagnieren ließ. Ich hörte ihm aufmerksam zu, war zugleich innerlich aufgewühlt, ja regelrecht schockiert.
Im Bett war meine Müdigkeit wie verflogen. Ich lag noch lange Zeit mit offenen Augen neben der schlafenden Freundin. Unter lautem Getöse rutschte eine Dachlawine ab und nach höchstens zwei Stunden Schlaf stand Skifahren am Programm.
Ich hatte wohl meine physischen Kräfte überschätzt. Fast kein Schlaf, starker Kaffee, kein Bissen im Bauch, dazu kam der Höhenunterschied bei der Fahrt mit der Gondel zur Bergstation. Ich erlitt einen Kreislaufkollaps.
Schweißgebadet, mit zittrigen Beinen auf den Skiern ins Tal rutschend, von ein paar Leuten aus unserer Gruppe zur Absicherung im Konvoi begleitet, erreichte ich die Talstation. Nach einem doppelten Schnaps und einer heißen Suppe im Restaurant stabilisierte sich mein Kreislauf allmählich. Inzwischen tobte sich Philipp auf der Piste aus, die weiblichen Skifans forderten ihn heraus.
Den letzten Tag verbrachte jeder mit seinen Vorlieben. Einige lagen vor dem Haus in der Sonne, lasen, hörten Musik oder diskutierten über Liedertexte. Andere wanderten auf den Hausberg. Philipp verbrachte mit ein paar sportlichen Freaks nochmals einen halben Tag auf der Piste. Mit etwas Wehmut im Herzen reinigten wir gemeinsam Stube, Küche und Zimmer.
Gegen Abend, noch ehe der geschmolzene Schnee zu vereisen begann, brachen wir in einer Kolonne die Heimreise an.
Bereits am frühen Morgen hatte mich Pauls Anruf beunruhigt. Angeblich war unsere Tochter wieder einmal nicht nach Hause gekommen. Ich fuhr mit gemischten Gefühlen heimwärts, ahnte, dass der Anruf lediglich ein Vorbote zu einer längeren Auseinandersetzung gewesen war.
Philipp versuchte, mich abzulenken. Er versprach mir beizustehen, falls es größere Schwierigkeiten geben sollte. Seine Frau habe schließlich schon mit schwierigen Jugendlichen gearbeitet, sie würde bestimmt auch mein Kind bei sich aufnehmen, und er wäre der Letzte, der etwas dagegen hätte.
Diese Aussichten machten mich zuversichtlicher und beruhigten mich während der langen Heimfahrt. Trotz aufheiternder Gespräche, die uns die Fahrt verkürzten, war ich angespannt. Schließlich stand unser ersehntes Fortgehen als krönender Abschluss des Skiwochenendes auf dem Spiel.
Unter dem Vorwand, gemeinsam nach der Tochter zu suchen, holte mich eine Freundin von Zuhause ab. Tanja war inzwischen zwar kurz da gewesen, jedoch gleich wieder verschwunden, als sie gemerkt hatte, dass ich noch abwesend war.
Nachdem wir sämtliche Innenstadtlokale vergebens nach ihr abgesucht hatten, gaben wir die Suche auf. Nicht der geringste Hinweis kam, wo Tanja stecken könnte, denn ihr neuer Freundeskreis hielt dicht.
Inzwischen wartete der harte Kern unserer Gruppe in einer Diskothek auf uns.

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Ein Roman von Christine Lackner



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